Tumorzellen sogenannter Glioblastome haben überraschende Fähigkeiten, die manche Experten sogar an eine Art „zweites Gehirn“ erinnern. Forschende des neuen Sonderforschungsbereichs 1389 unter Leitung des Universitätsklinikums Heidelberg konzentrieren im Projekt UNITE ihr Wissen und ihre kreativen Ideen, um wirksame Therapien gegen diese Krebszellen zu finden.
Wir sprachen mit Prof. Dr. Wolfgang Wick, Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs. Projektpartner sind das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Hochschule Mannheim und die Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.
Prof. Dr. Wolfgang Wick ist Geschäftsführender Direktor der Neurologischen Klinik und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Herr Prof. Wick, wofür steht UNITE?
UNITE steht in der englischen Sprache für ,sich verbinden‘ – und das ist genau, was wir mit dem neuen Sonderforschungsbereich erreichen wollen: In den kommenden vier Jahren werden wir die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Heidelberg und Mannheim zusammenführen, um Glioblastome besser zu verstehen und Behandlungsstrategien zu erarbeiten. Diese einmalige Verbindung von Experten auf dem Gebiet der Neuroonkologie spiegelt sich auch organisatorisch wider: Co-Sprecher von UNITE sind Prof. Dr. Michael Platten, Direktor der Neurologischen Klinik der Universitätsklinik Mannheim und Leiter einer Klinischen Kooperationseinheit am DKFZ sowie Prof. Dr. Stefan Pfister, Direktor des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellt für unser Projekt rund elf Millionen Euro zur Verfügung.
Warum sind Glioblastome so schwer zu behandeln?
Für alle Hirntumoren gilt: Der Krebs wächst da, wo wir das Zentrum unserer Persönlichkeit verorten und eine Erkrankung im ,zentralen Steuerungsorgan‘ löst bei jedem Menschen besonders große Ängste aus. Im Gegensatz zu anderen, oft auch gutartigen Hirntumoren ist das Glioblastom bei Kindern und Erwachsenen jedoch eine schwere und meist tödliche Erkrankung. Es gibt keine bekannten Risikofaktoren und betroffen sind sowohl Kinder als auch ältere Menschen, die schlagartig aus ihrem Alltag gerissen werden. Hinzu kommt die besondere Struktur dieser Tumoren …
Manche Experten bezeichnen Glioblastome sogar als „zweites Gehirn“, richtig?
Tatsächlich gibt es da Ähnlichkeiten, die auch uns Neurowissenschaftler immer wieder faszinieren. So konnten wir feststellen, dass die Tumorzellen häufig weit verzweigt auftreten, miteinander durch eine Art Röhrensystem vernetzt sind und sich sogar im Gehirn bewegen können. In einer aktuellen Publikation zeigten Forschende des Uniklinikums und der Medizinischen Fakultät Heidelberg sogar, dass Nervenzellen des Gehirns mit den Tumorzellen in Kontakt treten. Auf diesem Weg geben die Nervenzellen Erregungsreize an die Krebszellen weiter und von diesem ,Input‘ profitiert der Tumor: Die Aktivierungssignale sind wahrscheinlich eine treibende Kraft für das Tumorwachstum und die Invasion von Tumorzellen in gesundes Hirngewebe.
Heidelberg und Mannheim: Schwerpunkt Hirntumorforschung in der Kurpfalz
Am Standort Heidelberg/Mannheim besteht ein einzigartiges Netzwerk von Forschungsgruppen, die sich auf die Erforschung und Krankenversorgung von Hirntumoren fokussieren. Es existieren zahlreiche projektbezogene Kooperationen über Gruppengrenzen hinweg und viele medizinische und naturwissenschaftliche Bachelor-, Master- oder Promotionsarbeiten werden gemeinsam betreut. Im Rahmen des neuen Sonderforschungsbereichs wird das „UNITE Promotionskolleg Neuroonkologie“ herausragende Talente, den wissenschaftlichen Dialog und eine interdisziplinäre Ausbildung fördern.
Unterstützt wird das Universitätsklinikum dabei von der Hertie-Stiftung sowie der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung.
Was will der neue Sonderforschungsbereich anders machen?
Unser Forschungsprojekt geht davon aus, dass es Subgruppen von Patienten mit einem klaren Therapienutzen – zumindest für einen bestimmten Zeitraum – sowohl durch Bestrahlung und Chemotherapie als auch durch experimentelle, zielgerichtete oder immuntherapeutische Behandlungsstrategien gibt. Unser Ziel: Wir wollen die Erkrankung in Einzelerkrankungen auflösen, denn die realen Fälle in den Kliniken zeigen, dass die Patienten sehr unterschiedlich auf Therapien ansprechen. Wir müssen unseren Gegner also besser kennenlernen! Ein zweiter Aspekt ist, dass wir neue Medikamente finden wollen, denn viele der derzeit eingesetzten Wirkstoffe stammen – pharmakologisch gesehen – eigentlich aus der Steinzeit.
Ziel des neuen Sonderforschungsbereiches: das Phänomen Glioblastom in einzelne Erkrankungen auflösen.
Wie gehen Sie vor?
Wir werden weniger auf Ursachenforschung setzen, weil es leider noch keine Präventionsmöglichkeiten und keine Früherkennungsoption für Glioblastome gibt. Was uns interessiert, ist eine Verbesserung der Perspektive für bereits erkrankte Patienten: Wie können wir anhand von molekularbiologischen Markern verschiedene Subtypen von Glioblastomen erfassen? Wo liegen die jeweiligen Schwachstellen und wie können wir dort angreifen? Insgesamt wird es 20 Teilprojekte geben, die auf drei gleichen Säulen beruhen: Wir nutzen eine einheitliche, gemeinsame Gewebeplattform aus 100 Proben, bearbeiten unsere Fragestellungen auf höchstem technologischen Niveau und konzentrieren uns auf umsetzbare Ergebnisse.
Und was ist Ihr Ziel?
Das Glioblastom behandelbar zu machen, klarer Fall!
Die UNITE-Projekte bilden einen Schwerpunkt zum Verständnis der Mechanismen der Resistenz von Glioblastomen (Fokus A) und der Entschlüsselung der Resistenzmechanismen im Bereich der Tumorumgebung (Fokus B). Im Fokus C werden basierend auf aktuell verfügbaren technischen Verfahren neuartige Hochdurchsatztechnologien, präklinische Modelle und Analyseverfahren entwickelt und angewendet. Im Kernbereich D stellen Zentralprojekte qualitätsgesicherte Gewebe sowie Daten zur Entwicklung von Präzisionsmedizin zur Verfügung.
Fokus A
Fokus B
Fokus C
Kernbereich D
Mechanismen der Resistenz von Glioblastomen gegen Therapien
A1
Primäre und adaptive Resistenz von Glioblastomen durch Tumorzell-Netzwerke als neues Therapieziel
Dr. Erik Jung, Prof. Dr. Frank Winkler, Universitätsklinikum Heidelberg
A2
Entwicklung einer spezifischen Kombinationstherapie für Histon H3-mutierte pädiatrische Glioblastome
David T. W. Jones, Prof. Dr. Olaf Witt, Hopp Kindertumorzentrum
A3
Entschlüsselung von Resistenzmechanismen gegenüber zielgerichteten Therapien
Dr. Tobias Kessler, Prof. Dr. Wolfgang Wick, Universitätsklinikum Heidelberg
A4
Evolution von IDH-mutierten Gliomen während der malignen Progression
Dr. Sevin Turcan, Universitätsklinikum Heidelberg
A5
Prädiktive Biomarker für MGMT-Promoter-methylierte Glioblastome
Prof. Dr. Andreas von Deimling, Dr. David E. Reuss, Universitätsklinikum Heidelberg
A6
Resistenzmechanismen von Glioblastomen gegen Alkylantien und Radiotherapie
Dr. Violaine Goidts, Deutsches Krebsforschungszentrum, Dr. Felix Sahm, Universitätsklinikum Heidelberg
Entschlüsselung von Resistenzmechanismen im Bereich der Tumorumgebung
B1
Mechanismen des Ansprechens und der Resistenz gegenüber IMMUN-Checkpoint-Blockade in Gliomen
Dr. Theresa Bunse, Prof. Dr. Michael Platten, Universitätsmedizin Mannheim
B2
DNA-Mismatch-Reparatur reguliert die Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren beim Glioblastom
Dr. Hai-Kun Liu, Deutsches Krebsforschungszentrum
B3
Identifikation und zielgerichtete Blockade immunsuppressiver Programme in Isozitratdehydrogenase mutierten Gliomen“ Dr. Stefan Pusch, Dr. Lukas Bunse, Universitätsklinikum Heidelberg
Dr. Stefan Pusch, Dr. Lukas Bunse, Universitätsklinikum Heidelberg
B4
Einfluss myeloider Zellen auf die adaptive Immunantwort in IDH1-mutierten Glioblastomen
Prof. Dr. Christel Herold-Mende, Dr. Rolf Warta, Universitätsklinikum Heidelberg
B5
Tumor- und Mikromilieu-Effekte nach fokussierter Hochdosisbestrahlung von Glioblastomen
Prof. Marlon R. Veldwijk, Universitätsmedizin Mannheim
Neuartige Hochdurchsatztechnologien, präklinische Modelle und Analyseverfahren
C1
Umfassende präklinische pharmakologische Testung von Arzneimitteln zur Behandlung von Glioblastomen bei Kindern und Erwachsenen
Prof. Dr. Stefan M. Pfister, Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg, Prof. Dr. Walter E. Haefeli, Universitätsklinikum Heidelberg
C2
Radiomics, Radiogenomics und Deep-Learning in der Neuro-Onkologie
Prof. Dr. Martin Bendszus, Dr. Philipp Kickingereder, Universitätsklinikum Heidelberg
C3
Etablierung von Bildgebungssignaturen von Response und Resistenz gegenüber Immuntherapien bei Gliomen
Dr. Michael Breckwoldt, Universitätsklinikum Heidelberg
C4
Identifikation metabolischer Resistenzfaktoren und Ihre Gewebeverteilung mittels MALDI Massenspektrometrie Imaging
Prof. Dr. Carsten Hopf, Hochschule Mannheim, Dr. Christiane A. Opitz, Deutsches Krebsforschungszentrum
C5
Überwindung der Radioresistenz von Gliomen durch Partikeltherapie
Dr. Dr. Amir Abdollahi, Dr. Ivana Dokic, Universitätsklinikum Heidelberg
Zentralprojekte, die qualitätsgesicherte Gewebe sowie Daten zur Entwicklung von Präzisionsmedizin zur Verfügung stellen
D1
Integrierte Gewebe und PDX-Plattform
Prof. Dr. Andreas von Deimling, Prof. Dr. Christel Herold-Mende, Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Dr. Daniel Hänggi, Universitätsmedizin Mannheim
D2
Datenintegration, bioinformatische Analysen und Datenexploration für die individualisierte Neuroonkologie
Dr. Matthias Schlesner, Deutsches Krebsforschungszentrum
D3
Heidelberger Promotionskolleg für Neuroonkologie
Prof. Dr. Wolfgang Wick, Dr. Maja Zenz, Universitätsklinikum Heidelberg
D4
Zentrale Koordination
Prof. Dr. Wolfgang Wick, Dr. Maja Zenz, Universitätsklinikum Heidelberg
Glioblastome werden unter anderem im Heidelberger Ionenstrahl Therapiezentrum (HIT) behandelt. Damit der Ionenstrahl seine Kraft genau im Tumor entfaltet, arbeiten Swantje Ecker und Sabine Kuhn eng zusammen. Gemeinsam finden sie die perfekte Position für den Patienten und optimieren die Bestrahlungsfelder. Und neben all der Technik nehmen sie mit viel Herzenswärme Kindern die Angst vor der Therapie.