Perspektive von
Prof. Dr. Evangelos Giannitsis
Leiter der Chest Pain Unit
und Oberarzt für Kardiologie
21:37 Uhr. Seit acht Minuten befindet sich Frau Schäfer in der Chest Pain Unit (CPU), der Anlaufstelle für Menschen mit akuten Brustschmerzen oder unklaren Beschwerden im Brustbereich. Direkt nach der Ankunft hat das Pflegepersonal ein 15-Kanal-EKG geschrieben, jetzt befunde ich es. Schnell stellt sich heraus, dass das EKG unauffällig ist, doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh. Bei Infarkten ist knapp die Hälfte der EKGs unauffällig. Die Kolleginnen und Kollegen in der Chirurgischen Ambulanz haben dankenswerter Weise in der Blutuntersuchung bereits den Troponin-Wert berücksichtigt, der wichtigste Biomarker für die Diagnostik eines Infarktes. Um 21:12 Uhr lag dieser bei 20,08 Nanogramm pro Liter, ein Wert bis 14 ist normal. Das erhöhte Troponin verstärkt den Verdacht auf einen Infarkt, gibt aber keine Garantie. Wir brauchen einen zweiten Wert, weshalb wir den Bluttest nach 60 Minuten wiederholen werden. Ich gehe ins Behandlungszimmer. „Frau Schäfer, zwar ist das EKG unauffällig. Wir müssen Sie dennoch für Folgeuntersuchungen hierbehalten, um einen Infarkt ausschließen zu können“.
Die Abläufe in der CPU sind von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie vorgegeben und zeitlich eng getaktet. Und das müssen sie aus Qualitätsgründen auch sein. Denn in der Notaufnahme allgemein, besonders aber in der CPU, ist schnelles Handeln gefragt, um lebensgefährliche Situationen sofort zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Auf einem der 13 Monitore im Koordinationsraum beobachte ich die Herzfrequenz von Frau Schäfer, die immer noch stabil verläuft. Jeder Monitor überwacht eine Patientin bzw. einen Patienten. Heute sind wie so oft alle Zimmer belegt. Ich nutze die kurze Auszeit, um mit meiner Assistenzärztin die Fälle der letzten Nacht zu besprechen. An meinem Job als Oberarzt gefällt mir, dass ich nicht nur Mediziner, sondern auch Dozent, Wissenschaftler und Koordinator bin. Die Weiterbildung von jungem Personal treibt mich genauso an wie die Verbesserung der Behandlung. Deshalb habe ich auch die Stelle als Leiter des Zertifizierungskomitees der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie für die CPU angenommen. Gemeinsam mit renommierten Fachkräften optimieren wir die „Standard Operating Procedures“ in ganz Deutschland.
Innovation made in Heidelberg – Hochsensitiver Troponin-Test Prof. Dr. med. Hugo A. Katus, Seniorprofessor der Universität Heidelberg und ehemaliger Leiter der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie, hat Ende der 80er Jahre mit der Erfindung des Troponin-Tests die Diagnostik von Herzerkrankungen nachhaltig verbessert. Der Test kann zuverlässig bereits ein Nanogramm Troponin im Blut nachweisen. Da das Eiweiß Troponin spezifisch für absterbende Herzmuskelzellen ist, liefert eine hohe Konzentration von Troponin im Blut exakte Auskünfte über einen Herzmuskelschaden. Für diese Leistung erhielt Katus unter anderem die Goldmedaille der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie.
22:17 Uhr. Die zweiten Blutwerte von Frau Schäfer sind da und räumen die letzten Zweifel aus dem Weg. Der Troponin-Wert ist auf 31,2 gestiegen. Aufgrund der erhöhten Konzentration von Troponin in Kombination mit den Oberbauchschmerzen können wir selbst bei einem unauffälligen EKG einen Infarkt diagnostizieren. Auch hier ist das weitere Vorgehen definiert: Bei Frau Schäfer muss innerhalb von 24 Stunden eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt werden, um zu klären, welche Bereiche des Herzens betroffen sind. Es war die richtige Entscheidung, dass Frau Schäfer heute zu uns in die Notaufnahme gekommen ist.
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