41.791 Bewerber drängelten sich laut „Stiftung für Hochschulzulassung“ allein im Fach Humanmedizin zum Wintersemester 2019/20 um nur 9.458 Studienplätze. Bislang wurden 20 Prozent dieser Plätze nach der Abiturnote vergeben, 20 Prozent über die Wartezeit der Bewerber und die restlichen 60 Prozent im sogenannten Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH). Diese Quoten haben sich durch den Gerichtsbeschluss deutlich geändert: „Die Richter forderten unter anderem, dem Abiturschnitt im hochschuleigenen Verfahren eine geringere Bedeutung beizumessen und einen fachspezifischen Studierfähigkeitstest zu stärken“, sagt Prof. Dr. Martina Kadmon, Leiterin der TMS-Koordinationsstelle an der Medizinischen Fakultät Heidelberg, die vor Gericht als Sachverständige angehört wurde. Die Folge: In Zukunft können die Hochschulen nun 70 Prozent ihrer Studierenden nach verschiedenen Verfahren auswählen, 30 Prozent der Studienplätze werden weiterhin über die „Stiftung für Hochschulzulassung“ an die Abiturbesten vergeben.
Talent statt Wartezeit
Impulse für das Medizinstudium
Talent statt Wartezeit
Medizinstudienplätze sind knapp und hart umkämpft: Lange galten vor allem ein „Einserabitur“ oder viele Wartesemester als sichere Wege, um Arzt oder Ärztin werden zu können.
Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts musste das gesamte Vergabeverfahren jedoch neu geregelt werden – mehr Mitbestimmung für die Unis und neue Testverfahren wünschten sich die Richter. Vertreter der Medizinischen Fakultät Heidelberg wurden als Experten vor Gericht gehört und gaben entscheidende Impulse für das neue Verfahren.
Mehr Mitbestimmung für die Universitäten, keine Wartezeiten mehr – altes und neues Vergabeverfahren für Medizinstudienplätze im Vergleich.
Doch wie messen Hochschulen, wer aus ihrer Sicht besonders geeignet für dieses aufwändige und teure Studium ist? Bekanntestes Testverfahren ist der „Test für Medizinische Studiengänge“ (TMS), besser bekannt als „Medizinertest“. Jährlich nehmen in der ersten Maihälfte bis zu 15.000 Menschen deutschlandweit teil, um durch gute Testergebnisse ihre Chancen auf einen Medizinstudienplatz zu erhöhen.
Sie und ihr Team testen die Tests und betreuen eines der aufwändigsten Auswahlverfahren, das es bundesweit gibt: Prof. Dr. Martina Kadmon ist Leiterin der „Medizinertest“-Koordinationsstelle der Medizinischen Fakultät Heidelberg und Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät an der Universität Augsburg.
Auch Tests müssen sich testen lassen
Der TMS wird aktuell im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojektes (www.projekt-stav.de) selbst getestet und vereinheitlicht – mit dem Ziel, eines Tages möglichst an allen deutschen Universitäten auf einheitliche Testverfahren zugreifen zu können. An der Medizinischen Fakultät Heidelberg nehmen Experten unter anderem die bisher eingesetzten Aufgaben genau unter die Lupe: Die Forschenden wollen wissen, welche Fragen eine besonders gute Aussagekraft in Hinblick auf den Studienerfolg haben.
Die Wissenschaftler gehen so vor: Freiwillige absolvieren nach dem echten Medizinertest sogenannte Nachtestungen und erklären sich bereit, auf anonymer Basis ihren weiteren Studienverlauf in die Untersuchung einfließen zu lassen. „Auf diese Weise können wir langfristig untersuchen, welche Aufgaben besonders gut einen erfolgreichen Studienverlauf voraussagen“, beschreibt Tim Wittenberg, Koordinator der Studierendenauswahlforschung an der Medizinischen Fakultät, den Ansatz des Forschungsprojektes.
Probieren Sie es selbst aus …
Es gibt nur wenige Dinge im Leben, die man nur einmal machen kann. Der „Medizinertest“ gehört dazu – hier eine Probefrage!
Die folgende Aufgabe prüft Ihre Fähigkeit, im Rahmen medizinischer und naturwissenschaftlicher Fragestellungen
mit Zahlen, Größen, Einheiten und Formeln richtig umzugehen.
Unter „Plasma-Halbwertszeit” wird hier jene Zeitspanne verstanden, in der sich die im Blutplasma befindliche Menge eines Arzneistoffes jeweils auf die Hälfte reduziert; dies kann sowohl durch Ausscheidung als auch durch biologischen Abbau erfolgen. Einem Patienten wird zum Zeitpunkt t0 ein Arzneistoff, der eine Plasma-Halbwertszeit von 8 Stunden hat, intravenös injiziert. Nach 24 Stunden befinden sich im Blutplasma des Patienten noch 10 mg des Arzneistoffes. Wie viel mg wurden dem Patienten injiziert?
A40mg
B80mg
C160mg
D200mg
E400mg
Forschung von heute für die Ärzte von morgen
Doch damit nicht genug: Neben dem TMS sind mit Förderung des Landes Baden-Württemberg weitere Testverfahren in Vorbereitung. Ein Forschungsverbund, an dem neben der Medizinischen Fakultät Heidelberg auch die Fakultäten Tübingen und Freiburg beteiligt sind, widmet sich beispielsweise der Untersuchung des Einflusses von berufspraktischer Erfahrung auf den Studienerfolg.
Patienten wünschen sich Ärzte, die nicht nur fachlich kompetent sind, sondern auch zuhören, mitfühlen und gut erklären können. Auch diese sogenannten „kommunikativen Fähigkeiten“ sollen in Zukunft in die Studierendenauswahl in Heidelberg einfließen. Ein Team um Prof. Dr. Sabine Herpertz, Studiendekanin der Medizinischen Fakultät Heidelberg, erforscht gerade, inwiefern beispielsweise sogenannte Multiple Mini-Interviews mit den Bewerbern dazu beitragen können.
KURZINTERVIEW MIT PROF. HERPERTZ
„Patienten brauchen Ärzte, die Mitgefühl zeigen können und verlässlich Hilfe anbieten“
Gespräch mit der Heidelberger Studiendekanin Prof. Dr. Sabine Herpertz, die gemeinsam mit ihrem Forschungsteam an einem neuen, zusätzlichen Medizinertest arbeitet: Bewerber um einen Medizinstudienplatz sollen in Multiplen Mini-Interviews (MMIs) zukünftig ihre Fähigkeiten im Umgang mit Patienten unter Beweis stellen können.
INTERVIEW WEITERLESENINTERVIEW WEITERLESENFrage: Frau Prof. Herpertz, was möchten Sie mit den Mini-Interviews herausfinden?
"Ziel ist es, die Studierendenauswahl an der Heidelberger Medizinischen Fakultät durch einen Test zu sozial-kommunikativen Fähigkeiten der Bewerber zu erweitern. Großes Fachwissen allein macht nun mal noch keinen guten Arzt und keine gute Ärztin aus – es braucht dazu auch Eigenschaften wie emotionale Verfügbarkeit und soziale Kompetenzen. Damit ist die Fähigkeit gemeint, den gefühlsbedingten Zustand des Gegenübers empathisch zu erkennen, seine Haltung der Krankheit gegenüber, seine Not und die möglichen Konsequenzen für sein weiteres Leben. Dies bereitet gute Voraussetzungen, um angemessen auf den Betroffenen einzugehen und eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage zu schaffen."
Wie wollen Sie untersuchen, ob die Bewerber gut mit Menschen umgehen können?
"Zunächst wollen wir im Rahmen unseres Forschungsprojektes ein Skalensystem entwickeln, mit dem die Antworten und das Handeln von freiwillig teilnehmenden Medizinstudierenden objektiv und wiederholbar bewertet werden können. Im weiteren Verlauf der Studie werden wir diese Ergebnisse mit den Ergebnissen aus einem bereits etablierten Soziale Kompetenz-Test für Mediziner vergleichen. Außerdem werden wir die insgesamt 170 an der Studie teilnehmenden Studierenden bis ins Studium und schließlich ins Berufsleben begleiten und beobachten, wie gut unser Test ihren Erfolg in Studium und Beruf vorhersagen kann."
Was passiert bei den Interviews?
"Das Verhalten der Bewerber wird in typischen und dabei durchaus herausfordernden Situationen des ärztlichen Alltags bewertet, dabei unterstützen uns eigens dafür geschulte Schauspieler. Typische, schwierige Momente im Arztleben sind ja beispielsweise eine ärztliche Untersuchung unter stark erschwerten Bedingungen, die Motivation von chronisch Kranken zur Therapie-Einhaltung, das Überbringen einer schlechten Nachricht oder auch Konflikte mit Patienten. Alle diese Probe-Gespräche werden auf Video aufgezeichnet und anschließend durch eine Gruppe von dafür zertifizierten, berufserfahrenen Medizinern beurteilt."
Inwiefern und wann können die Interviews in das hochschuleigene Bewerberverfahren eingebunden werden?
"Wir hoffen, dass wir die Mini-Interviews vom Wintersemester 2022/2023 an als Zusatzmodul in der Studierendenauswahl anbieten können. Wir planen das aufwändige Verfahren im ersten Schritt nur Bewerberinnen und Bewerbern anzubieten, die ein sehr gutes, aber nicht ausreichendes TMS-Ergebnis haben und unbedingt in Heidelberg studieren wollen. Diese erhalten durch die MMIs die Chance, ihr Ergebnis noch einmal zu verbessern und damit die Zulassung durch sehr gute sozial-kommunikative Fähigkeiten zu erreichen."
Studierendenauswahl mit Engagement und Fingerspitzengefühl
- TMS-Koordinationsstelle: Mit einzigartigem Organisationsaufwand wird von Heidelberg aus jährlich für über 15.000 Teilnehmer die Durchführung des „Tests für Medizinische Studiengänge“ (TMS) organisiert. 34 Fakultäten aus Baden-Württemberg und anderen Bundesländern sind mittlerweile dem TMS-Verbund beigetreten. Mindestens 50 Testorte gibt es deutschlandweit.
- Forschung: Verschiedene Projekte leisten – häufig in Kooperation mit anderen Fakultäten deutschlandweit – einen wesentlichen Beitrag, um wissenschaftlich fundierte, strukturierte und standardisierte Auswahlverfahren für Studierende zu entwickeln.
- Studierendenauswahl: Das Studiendekanat prüft und entscheidet über die Bewerbungen, die eingehen. Begleitforschungen belegten bereits in den frühen 2010er Jahren die Validität des TMS und trugen zur Entwicklung des hochschuleigenen Auswahlverfahrens bei.
Impulse von starken Teams
Jaqueline Schulz
Mediendidaktikerin
Lukas Jurkowski
Informatiker
Ein modernes, übersichtliches Online-Lernsystem – daran arbeiten Jaqueline Schulz und Lukas Jurkowski. Im Studiendekanat der Medizinischen Fakultät (Bereich IT Lehre) bereiten sie derzeit die Neugestaltung des Lernmanagementsystems Moodle vor. Die Plattform wird im Medizinstudium eingesetzt, um die Lehre organisatorisch und inhaltlich zu unterstützen und digitale Angebote zu ermöglichen.