Krebszellen sind trickreiche Gegner: Üblicherweise tarnen sie sich vor einer Erkennung durch das Immunsystem, indem sie bestimmte Moleküle auf ihrer Oberfläche reduzieren. CAR-T-Zellen entlarven diese Tarnung. „Bei den CAR-T-Zellen werden Zellen der körpereigenen Immunabwehr im Labor gentechnisch so verändert, dass sie die für bestimmte Krebszellen typischen Oberflächenstrukturen erkennen. Sie binden an die Krebszellen und zerstören diese dann“, sagt Prof. Dr. Michael Schmitt, Siebeneicher-Stiftungsprofessor für Zelluläre Immuntherapie und Leiter der Good Manufacturing Practice Facility (GMP-Facility), in der die CAR-T-Zellen entwickelt und hergestellt werden. Das „CAR“ steht für „Chimärer Antigen Rezeptor“ – eine Art „Greifarm“, mit dem die T-Zellen ausgestattet werden, um die Krebszelle zu finden und dann zu vernichten.
CAR-T-Zellen greifen Tumoren aktiv an
Impulse für Immuntherapien gegen Krebs
CAR-T-Zellen greifen Tumoren aktiv an
CAR-T-Zellen sind völlig neue Spieler auf dem Feld der Immunzelltherapie: Hierbei werden körpereigene Immunzellen in einem gentechnischen Verfahren so verändert, dass sie bestimmte Formen von Blut- und Lymphdrüsenkrebs erkennen und bekämpfen können.
Die Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie des Universitätsklinikums Heidelberg ist deutschlandweit eine der ersten Einrichtungen, die diese gentherapeutischen Medikamente selbst herstellen und im Rahmen einer klinischen Studie einsetzen darf.
Kleine Zellen – große Hoffnungen: CAR-T-Zellen reifen im Brutschrank aus und vermehren sich.
Prof. Dr. Michael Schmitt, Leiter der Good Manufacturing Practice Facility (GMP-Facility) und Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik V im Labor.
Ablauf der
CAR-T-Zell Therapie
Im Rahmen einer CAR-T-Behandlung werden dem Patienten bei einer Blutwäsche zunächst weiße Blutkörperchen (T-Zellen) entnommen (1). Diese werden 14 Tage lang bebrütet, aktiviert und gentechnisch verändert. In der Folge entwickeln sie ein Molekül - den „Greifarm“ - auf ihrer Oberfläche, das an das Antigen CD19 bindet (2). CD19 befindet sich auf über 95 Prozent der Krebszellen von Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie, chronischer lymphatischer Leukämie oder B-Zell-Lymphom. Die veränderten Zellen werden zwei weitere Wochen lang auf Keimfreiheit getestet und der Patient wird mit einer Chemotherapie auf die CAR-T-Zellen vorbereitet. Danach werden die Zellen über eine Vene dem Patienten zurückgegeben (3). Sie binden an die Krebszellen und zerstören diese (4).
Insgesamt wurden bislang 22 Patienten (Stand Oktober 2020) in klinische Studien aufgenommen und mit Produkten aus der Eigenherstellung behandelt. Die ersten Ergebnisse stimmen optimistisch: „Wir sahen bei der Hälfte der Patienten ein Ansprechen, bei einigen sogar ein komplettes Ansprechen auf die Therapie“, fasst Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie, zusammen. „Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Patienten im ersten Jahr nach der Therapie entwickeln. Manchmal stellt sich ein vollständiger Erfolg erst nach einigen Monaten ein.“
PATIENTENSTORY
„Es gab keine Alternative“ -
Wie einer der ersten Heidelberger Patienten die CAR-T-Therapie erlebte
28.2.2007, morgens um 6.15 Uhr: Martin Schmidt (*) steigt aus dem Cockpit, zum letzten Mal nach 34 Jahren als Pilot für die Lufthansa. Er hat viele Länder gesehen, viele Menschen getroffen, viele schwierige Situationen gemeistert – nun kommt der Ruhestand, verbunden mit leisem Bedauern, aber auch mit schönen Plänen für die Zukunft. Was Schmidt nicht ahnt: Seine größte Herausforderung steht unmittelbar bevor. Knapp ein Jahr nach seinem letzten Flug, kurz vor seinem 60. Geburtstag, bekommt er die schwerwiegende Diagnose: Er leidet an einem Mantelzell-Lymphom, einer bösartigen Erkrankung des lymphatischen Systems, die dazu führt, dass die Blutbildung gestört und das Immunsystem beeinträchtigt wird. Ist die Diagnose da, ist keine Zeit zu verlieren, weil die Krankheit unbehandelt rasch voranschreitet.
CAR-T-Zellen als letzte Chance
Für Martin Schmidt beginnt ein Kampf, der seit mittlerweile elf Jahren andauert. Drei Stammzelltransplantationen helfen zunächst, doch es kommt immer wieder zu Rückfällen. Er hat nicht mehr viele Möglichkeiten und es geht ihm schlecht, als Prof. Dr. Peter Dreger, Leiter der Heidelberger Stammzelltransplantationseinheit und sein behandelnder Arzt, ihm im Sommer 2018 mitteilt:
„Es gibt einen neuen Therapieansatz. Das UKHD hat die Zulassung, eigene CART-T-Zellen zu entwickeln und einzusetzen.“
Der Patient muss schnell eine Entscheidung treffen: Will er das Risiko eingehen und sich einer vergleichsweise jungen Behandlungsform unterziehen? Der Kampf zwischen CAR-T- und Krebszellen kann heftig ausfallen. Ein mögliches Risiko ist, dass die neu entwickelten „Killerzellen“ eine besonders heftige, lebensbedrohliche Entzündungsreaktion – einen sogenannten Zytokinsturm – auslösen. Schmidt überlegt, bespricht sich mit seiner Frau Marianne. Doch schnell ist beiden klar: „Es gibt keine Alternative.“ Er willigt ein, vertraut auf seine Ärzte und auf seinen Optimismus, der ihn viele Jahre bei Flügen rund um den Erdball begleitet und geschützt hat.
Der Tumor geht zurück
Martin Schmidt bekommt zu Beginn der CAR-T-Zelltherapie zunächst die geringstmögliche Dosis an gentherapeutisch veränderten Zellen, die Blutwerte verbessern sich kurz, werden dann aber wieder schlechter. Ein Rückschlag, aber Patient und Ärzte geben nicht auf. Es folgte ein zweiter Anlauf mit der zwanzigfachen Dosis an gentechnisch veränderten CAR-T-Zellen, dem eine erneute, vorbereitende Chemotherapie und eine leichte Bestrahlung des Auges vorangehen. „Zunächst passierte nichts“, erinnert er sich. „Doch nach drei Tagen schmolz der Tumor hinter dem Auge wie Schnee in der Sonne.“ Die Schwellung am Auge sowie die anderen nachweisbaren Tumoren gehen zurück, ebenso die im Blut zirkulierenden Tumorzellen.
Martin Schmidt ist mittlerweile wieder zuhause. Es wäre übertrieben zu sagen, dass er keine Beschwerden hat – er muss mehrere Medikamente nehmen und sich vor Infektionen hüten. Seine Immunabwehr ist schwach und kleine Infekte können große Auswirkungen haben. Aber er fühlt keine Schmerzen, sondern sehr viel Lebensfreude. Seine Frau und er machen Reisepläne. „Tegernsee ist doch schön“, schlägt sie vor. „Kalifornien, mindestens vier Wochen“, sagt er.
(* Name geändert.)
Perspektiven für weitere Krebsarten
Weitere Patienten bekamen kommerzielle Produkte, für deren Einsatz sich das Universitätsklinikum Heidelberg als eine der ersten Einrichtungen deutschlandweit im Jahr 2018 qualifiziert hat. Die Zulassung der Präparate beschränkt sich momentan auf das diffus-großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) und – nur bei Patienten unter 25 Jahren – auf die akute lymphatische Leukämie (ALL), wenn die Standardtherapieverfahren versagt haben.
Doch warum entwickelt das Uniklinikum eigene Anwendungen, wenn es schon kommerzielle Anbieter auf dem Markt gibt? „Wir können auf diese Weise Menschen helfen, die nicht unter die strengen Zulassungsauflagen für die kommerziellen Produkte fallen“, sagt Prof. Dr. Carsten Müller-Tidow. „Außerdem sind mit rund 300.000 Euro pro Behandlung die Kosten für die bereits zugelassenen Produkte sehr hoch“, sagt Carsten Müller-Tidow. „Eigene Produkte könnten kostengünstiger und schneller verfügbar sein.“ Zudem sind so weitere Forschungen möglich, um neue, noch bessere Therapien zu entwickeln.
Mittelfristig hofft man, dass diese Form der Gentherapie die Stammzelltransplantation teilweise ersetzen und außerdem auf Basis der begleitenden Forschungsarbeiten auf andere Formen des Blutkrebses erweitert werden kann. Bislang ist eine Therapie mit den am Uniklinikum hergestellten CAR-T-Zellen nur im Rahmen von klinischen Studien möglich. Die Heidelberger Forscher möchten nun den nächsten Schritt gehen und nach Abschluss der aktuellen Studie beim zuständigen Paul-Ehrlich-Institut eine sogenannte Krankenhaus-Ausnahmeregelung beantragen. Wird dieser stattgegeben, würden die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Behandlung ersetzen. „Mit einer Krankenhaus-Ausnahmeregelung könnten wir viel mehr Menschen eigenständig behandeln“, sagt Müller-Tidow. „Wir haben einen Versorgungsauftrag, den wir auf diese Weise bestmöglich und ressourcenschonend erfüllen möchten.“
Impulse von starken Teams
Matthias Hoffmann
Ernährungswissenschaftler
Elena Hemlein
Sozialdienst
Wenn eine Krebserkrankung die Welt aus den Fugen hebt, kämpfen Krebspatienten nicht nur mit der Krankheit, sondern auch mit vielen alltäglichen Herausforderungen. Elena Hemlein und Matthias Hoffmann stehen gemeinsam als ein Team der Beratungsdienste zur Verfügung, um Patienten während ihrer Erkrankung umfassend zu unterstützen, zu begleiten und in Krisensituation zu helfen. Sie organisieren z. B. eine geeignete Reha oder koordinieren eine umfassende häusliche Versorgung – je nach Bedarf.