Altern ist für alle Menschen früher oder später mit gesundheitlichen Herausforderungen verbunden. Daher geht es in der Altersforschung letztendlich vor allem darum, „wie“ unsere Zeit sich insbesondere gegen Ende des Lebens gestaltet. Denn im besten Fall wollen wir möglichst lange gesund altern. Dabei stellen sich Fragen: Warum altern wir nicht alle gleich schnell? Und was genau trägt zum Alterungsprozess bei?

Professor Dr. Jürgen Bauer, Ärztlicher Direktor des Geriatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg und Professor Dr. Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, sprechen im Interview darüber, wie Bewegung, Prävention und neue Ansätze die Folgen des Alterns positiv beeinflussen können.

Wenn Sie mit einer Zeitmaschine 30 Jahre in die Zukunft reisen könnten, wo werden wir dann in Hinblick auf die Altersforschung und Versorgung älterer Menschen stehen?

Prof. Jürgen Bauer: Unser Ziel heute und natürlich auch besonders für die Zukunft ist es, die Zeit, die wir im Alter von Krankheiten und insbesondere von den Folgen eines fortgeschrittenen funktionellen Abbaus betroffen sind, möglichst kurz zu halten.

In 30 Jahren dürfte die pharmakologische Forschung Substanzen entwickelt haben, die altersbedingte Erkrankungen auf molekularer Grundlage verhindern oder zumindest deren Auftreten deutlich verzögern. Aber es wird auch innovative technische Hilfsmittel und Fortschritte der Digitalisierung geben, die die Selbstständigkeit älterer Menschen erhalten und ihnen so zu mehr Lebensqualität verhelfen werden.

Studie zur Altersgebrechlichkeit und Depression

Altersgebrechlichkeit (Frailty-Syndrom), die mit einer auffällig fortgeschrittenen Einschränkung der Mobilität und Aktivität einhergeht, und Altersdepression gehören zu den häufigsten geriatrischen Erkrankungen. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und des AGAPLESION Bethanien Krankenhauses Heidelberg / Geriatrisches Zentrum des Klinikums der Universität Heidelberg untersucht nun in einer klinischen Studie, ob diese Erkrankungen gemeinsame neurobiologische Ursachen haben könnten. Die Dietmar Hopp Stiftung finanziert die Studie mit rund 250.000 Euro.

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Was ist das biologische Alter und wie wird es durch körperliche Bewegung beeinflusst?

Prof. Jürgen Bauer: Mechanismen, die im Körper die Reparatur von Fehlern auf zellulärer Ebene gewährleisten, verlieren mit zunehmendem Alter an Effizienz. Es findet sich schließlich im Organismus eine zunehmende Zahl an schwer gealterten sogenannten seneszenten Zellen. Diese beeinträchtigen das Funktionieren des Körpers auf vielfältige Weise.

Die sogenannte biologische Uhr beschreibt das individuell sehr unterschiedliche Auftreten dieser und weiterer Alterungsprozesse. So gibt es Menschen, die deutlich schneller altern als andere und wiederum andere, bei denen diese Vorgänge deutlich langsamer verlaufen. Mit umfassenden Labortests wird schon bald die Erfassung des biologischen Alters zuverlässig möglich sein.

Es könnte sich aber auch als hilfreich erweisen, wenn man die erwähnten Laborparameter mit Daten des individuellen Bewegungsverhalten kombiniert. Letztere umfassen sehr präzise Analysen der körperlichen Aktivität unter Alltagsbedingungen und gehen damit weit über die bereits geläufige Messung der Schrittzahl hinaus. So werden sich auch diejenigen frühzeitig identifizieren lassen, welche durch einen beschleunigten Abbau und ein erhöhtes Risiko für das Auftreten altersassoziierten Erkrankungen gefährdet sind. Diese Personen können auf Basis der Informationen von einer gezielten Therapie profitieren. Körperliches Training hat tatsächlich vielfältige Wirkungen auf zellulärer Ebene und wird aktuell als die stärkste Intervention gegen das Altern angesehen.

Um das Training älterer Menschen zu verbessern, haben wir hier in Heidelberg zusammen mit nationalen und internationalen Partnern spezielle Trainingsgeräte und Trainingsprogramme entwickelt, unter anderem auch solche, die in tabletbasierten Versionen Anwendung finden.

„Körperliches Training hat vielfältige Wirkungen auf zellulärer Ebene und wird aktuell als die stärkste Intervention gegen das Altern angesehen.“

Professor Dr. Jürgen Bauer, Ärztlicher Direktor des Geriatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg

Wie stehen die Chancen, dass für uns bald eine Pille kommt, die das Altern aufhält?

Prof. Jürgen Bauer: Es werden gegenwärtig bereits Wirkstoffe, die für andere Krankheiten zugelassen sind, dahingehend systematisch geprüft, ob sie einzeln oder in Kombination Alterungsprozesse und altersbedingte Erkrankungen positiv beeinflussen können. Es dürfte aber noch einige Jahre dauern, bis solche Wirkstoffe ausreichend am älteren Menschen getestet sind. Und letztendlich wird vermutlich ein Medikament alleine nie ausreichen, um das Altern wirklich zu verzögern.

Der menschliche Körper ist sehr komplex und daher werden erfolgreiche Ansätze, die dem Altern entgegenwirken, aus Kombinationstherapien bestehen. Neben den erwähnten medikamentösen Präparaten oder auch Biologika für bestimmte Risikogruppen wird auch zukünftig die Lebensführung – Schlaf, Bewegung, soziale Einbindung, eine gesunde, zum Beispiel mediterrane Ernährung – eine extrem wichtige Rolle spielen. Diese Faktoren haben nachweislich großen Einfluss darauf, ob man mit hoher Lebensqualität gut altert. Um die Eigenverantwortung werden wir in diesem Kontext nicht herumkommen.

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Für ältere Menschen wurden am UKHD spezielle Trainingsprogramme entwickelt, um Verletzungen vorzubeugen oder die Gesundung nach Eingriffen zu beschleunigen.

Herr Prof. Renkawitz, was sollte man aus orthopädischer Sicht tun, um möglichst lange fit zu bleiben? Was hat sich dabei in den letzten Jahren verändert?

Prof. Tobias Renkawitz: Die Erkenntnis, dass Bewegungsmangel negative Auswirkungen auf den gesamten Körper hat, ist nicht neu. In der aktualisierten Bewertung der „Global Burden of Disease“-Studie zählt Inaktivität auch weiterhin zu den wichtigen Risikofaktoren für verlorene „gesunde Lebensjahre“ und als Ursache für Todesfälle.

Unser orthopädisches Motto ist „Leben ist Bewegung“. Bei leichten Verletzungen oder Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems gelingt es zumeist, durch nicht-operative Therapieverfahren mit einem individuellen Bewegungsprogramm Probleme zu beseitigen.

Bei schweren Verletzungen oder strukturellen Schäden am Bewegungssystem setzen wir auf High-Tech- Operationsverfahren – aber auch hier mit einem klaren Fokus, unseren Patienten nach dem Eingriff schnellstmöglich wieder Bewegung und Beweglichkeit zu ermöglichen. Hier haben Fortschritte und Forschungsergebnisse in der orthopädischen Chirurgie teilweise zu einem regelrechten Dogmenwechsel geführt.

„Ein tägliches Bewegungsprogramm sollte nachhaltig, konstant und intrinsisch motiviert sein.“

Professor Dr. Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg

Gibt es bestimmte Sportarten oder Bewegungsprogramme, die besonders empfehlenswert sind?

Prof. Tobias Renkawitz: Grundsätzlich ist jede körperliche Bewegung positiv, dafür existiert auch eine überzeugende evidenzbasierte Datenlage. Natürlich gibt es aus orthopädischer Sicht Sportarten, die bei speziellen Erkrankungen des Muskel-Skelettsystems nur eingeschränkt empfohlen werden können.

Beispielsweise sind sogenannte „Stop-and-Go-Sportarten“ wie Tennis, Squash und Badminton bei Arthrosen im Knie- und Hüftgelenk nicht empfehlenswert. Menschen mit starken Rückenproblemen sollten eher auf Schwimmen und Fahrradfahren setzen, anstatt auf Sportarten mit Oberkörperrotation wie beispielsweise Golf.

Allerdings: Auch hier gibt es keine Verbote, es geht darum, individualisiert zu beraten. Wichtig erscheint mir der Hinweis, dass das tägliche Bewegungsprogramm nachhaltig, konstant und intrinsisch motiviert sein sollte. Am besten gelingt dies, indem man einfache Dinge in seinen Alltag integriert. Sei es das Radfahren zur Arbeit, Treppe statt Lift oder die Abwechslung zwischen Sitzen und Stehen im Büro.

Patientinnen und Patienten des UKHD profitieren von einer individuellen Beratung vor orthopädischen Eingriffen.

Inwiefern können Bewegung und Präventivmaßnahmen helfen, Verletzungen zu reduzieren?

Prof. Tobias Renkawitz: Zwei gute Nachrichten vorab: Grundsätzlich hat Bewegung in jedem Alter einen präventiven Effekt, und auch wenn man sich erst spät in seinem Leben entschließt, ein tägliches Bewegungsprogramm konsequent aufzunehmen, lassen sich noch immer relevant gute Effekte erreichen. Kurzum: Für Bewegung ist man also nie zu alt, und es ist nie zu spät dafür.

Für ambitionierte Sportler sind Sportpausen und Ausgleichstraining Teil der Prävention. Gerade bei der Betreuung von Nationalmannschaften und in der Kooperation mit dem Olympiastützpunkt empfehlen wir Athleten propriozeptive Trainingsbestandteile zur Verletzungsprophylaxe – also Athletikformen, die Tiefensensibilität und das Gleichgewicht besonders trainieren.

In der sportorthopädischen Forschung wurden einfache Tests entwickelt, um vulnerable Bewegungsmuster zu erkennen. Beispielsweise durch die Aufnahme der Kniestellung beim Landen nach Sprung aus niedriger Höhe. Eine Sportlerin mit einer zu schwach ausgebildeten hüft- und kniegelenksumgreifenden Muskulatur knickt dabei im Knie nach innen, das ist gleichbedeutend mit einem erhöhten Risiko für eine Kreuzbandverletzung.

100 Jahre Orthopädie Schlierbach

Die ehemalige Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg ist eine der größten Kliniken für orthopädische Universitätsmedizin in Deutschland. In diesem Jahr feiert die Klinik 100-jähriges Bestehen. Im Bereich für „Molekulare und regenerative Orthopädie“ wird in einer aktuellen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschergruppe untersucht, wie im Gelenk bei Bewegung auftretende mechanische Kräfte auf Knorpelgewebe wirken. Ziel ist die Entwicklung neuer Marker und Ansätze, um die schädigenden Zellreaktionen bei der Belastung von Knorpelzellen zukünftig zu heilen.

Forschungsbereich "Molekulare und regenerative Orthopädie"

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Gibt es Beispiele, wie eine Analyse von Bewegung die Risiken einer Operation oder von postoperativen Problemen reduzieren kann?

Prof. Tobias Renkawitz: Bewegung zu analysieren, ist ein wichtiger Forschungsbereich an der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg. Mit unserem Labor für Gang- und Bewegungsanalyse können wir Bewegung sichtbar und wissenschaftlich messbar machen.

Diese präoperative Ganganalyse fließt unter anderem in der Kinderorthopädie in operative Versorgungsstrategien ein. Die individuelle Betrachtung von Bewegungsmustern wird ebenso bei Patientinnen und Patienten nach komplexer Anfertigung von Ober- und Unterschenkelprothesen durch unsere Technische Orthopädie eingesetzt.

Patienten profitieren von dem engen Austausch zwischen Forschenden, Technikern und Ärzten. Ein weiteres Beispiel ist Forschung über das Zusammenspiel zwischen Beweglichkeit der Wirbelsäule und dem Hüftgelenk. In Zusammenarbeit mit internationalen Arbeitsgruppen konnten wir zeigen, dass Menschen mit einer versteiften oder sehr unflexiblen Wirbelsäule beim Einsetzen eines künstlichen Hüftgelenkes ein viel höheres Risiko für postoperative Komplikationen haben.

Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse haben bereits den Weg in die klinische Routine gefunden. Durch eine Spende der Dietmar Hopp Stiftung steht uns am Standort in Schlierbach ein spezieller 3-D-Skelett-Scanner zur Verfügung, mit dem wir vor der Operation Wirbelsäule und Hüfte simultan und in verschiedenen Körperpositionen untersuchen können, um die optimale Positionierung der Hüftprothese bei Risikopatienten individuell anzupassen.